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Wirtschafts-Staatssekretär Patrick Graichen muss nach wochenlanger Rückendeckung durch Minister Robert Habeck (Grüne) nun doch seinen Posten räumen. Graichen habe sich "zu angreifbar gemacht, um sein Amt noch wirkungsvoll ausüben zu können", sagte Habeck am Mittwoch. Bei einer vertieften internen Prüfung seien neue belastende Erkenntnisse aufgetaucht. Die Opposition bezeichnete Graichens Abgang als überfällig und forderte weitere Aufklärung.
Graichen stand seit Wochen wegen des Vorwurfs der Vetternwirtschaft unter Druck. Habeck hatte nach der Affäre um die Vergabe eines Spitzenpostens bei der bundeseigenen Deutschen Energie-Agentur (Dena) an Graichens Trauzeugen Michael Schäfer trotz massiven Drucks der Opposition zunächst an seinem Staatssekretär festgehalten. Nach internen Prüfungen zu weiteren Vorgängen rund um Graichen zog der Minister nun aber die Reißleine.
Es seien im Zusammenhang mit einem Förderantrag des BUND-Landesverbandes Berlin und bei der Besetzung einer Expertenkommission neue Ungereimtheiten festgestellt worden, sagte Habeck. Er sei daher in einem Gespräch mit Graichen "darin übereingekommen, dass wir die gemeinsame Arbeit nicht fortsetzen". Er werde Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier darum bitten, Graichen in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen.
Nach der Dena-Affäre seien Ende April neue Prüfungen eingeleitet worden, sagte Habeck. Konkret billigte Graichen demnach eine Projektskizze des BUND-Landesverbandes Berlin, obwohl Graichens Schwester Verena im Vorstand des Verbandes sitzt. Bei dem Projekt ging es laut Habeck um eine Fördersumme von knapp 600.000 Euro. Es sei zwar noch kein Geld geflossen, aber das Projekt sei mit der Abzeichnung durch Graichen als förderwürdig eingestuft worden. Daher sei der Vorgang als Compliance-Verstoß zu bewerten, sagte Habeck.
Außerdem sei ein zweiter Vorgang bei der internen Prüfung neu bewertet worden, führte Habeck aus. Dabei gehe es um die Besetzung der Expertenkommission zum Energiewende-Monitoring, bei der unter anderem Felix Matthes vom Freiburger Öko-Institut als Experte beauftragt worden sei. Der Vorgang liege schon länger zurück. Auch hier sei die vertiefte Prüfung zu dem Schluss gekommen, dass der Anschein der Parteilichkeit besser hätte vermieden werden sollen, sagte Habeck.
Die Fehler seien "unterschiedlich gravierend" und jeder für sich genommen hätte eine Trennung von Graichen nicht gerechtfertigt, betonte der Minister. In der Gesamtschau habe sich Graichen aber "zu angreifbar gemacht, um sein Amt noch wirkungsvoll ausüben zu können".
Die nun getroffene Entscheidung sei "schwer für mich und sehr hart für Patrick Graichen", sagte Habeck. Er müsse aber das Vertrauen in die Arbeit seines Ministeriums schützen und seine politische Handlungsfähigkeit gewährleisten. Er hoffe, dass die Nachfolge Graichens noch vor der parlamentarischen Sommerpause geregelt wird. Laut einem Bericht der "Bild"-Zeitung könnte der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, den Posten übernehmen.
Habeck nahm den scheidenden Staatssekretär zugleich in Schutz. Graichen habe "große Leistungen für dieses Land erbracht", sagte Habeck. Er habe Deutschland unter anderem "vor einer Gasmangellage bewahrt und maßgeblich dazu beigetragen, eine Wirtschaftskrise abzuwenden". Die Abzeichnung der BUND-Vorlage falle in die Hochphase der Krise, sagte Habeck. "Es war eine Phase extremer Arbeitslast."
Der Minister verurteilte zudem den Umgang mit Graichen, der in den vergangenen Wochen "über das berechtigte Maß an Kritik" angefeindet worden sei. Es seien auch Lügen über seine Familie verbreitet worden. "So dürfen politische Debatten nicht ausarten", sagte Habeck.
Die Politische Bundesgeschäftsführerin der Grünen, Emily Büning, nannte Graichens Ablösung "konsequent und richtig". Die SPD-Parlamentsgeschäftsführerin Katja Mast befürwortete die Entscheidung ebenfalls. "Ich hoffe sehr, dass jetzt wieder Sachthemen im Vordergrund stehen", sagte sie der Funke Mediengruppe. Der FDP-Abgeordnete Michael Kruse warnte vor einem "Macht-Vakuum" im Wirtschaftsministerium und forderte einen neuen Zeitplan für das geplante Heizungsgesetz.
Die Opposition verlangte weitere Aufklärung. Graichens Abgang könne "nur der Anfang sein", sagte die CDU-Abgeordnete Gitta Connemann dem "Spiegel". "Es geht um mehr als den Fehler eines Staatssekretärs, sondern um ein System".
Ähnlich äußerte sich der Linken-Abgeordnete Jan Korte. Graichen Abgang sei "überfällig" gewesen. Er sei aber nur "ein Bauernopfer". Offensichtlich gebe es "in der grünen Wirtschaftsszene einen massiven Vetternwirtschaftskomplex".
(H.Schneide--BBZ)