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In Estland haben die Bürgerinnen und Bürger am Sonntag ein neues Parlament gewählt. Die Wahlberechtigten des 1,3 Millionen Einwohner zählenden EU- und Nato-Mitgliedslandes waren aufgerufen, die 101 Abgeordneten des Einkammer-Parlaments in Tallinn zu bestimmen. Laut Umfragen hatte die politisch Mitte-Rechts stehende Reformpartei von Ministerpräsidentin Kaja Kallas die besten Aussichten auf den Wahlsieg. Die Rechtsaußen-Partei Ekre dürfte demnach voraussichtlich die zweitstärkste Kraft bleiben.
"Diejenigen, die nicht Ekre wählen, werden die Reform(partei) nicht loswerden", schrieb Ekre-Chef Martin Helme am Sonntag im Onlinenetzwerk Facebook. Der frühere Regierungschef Siim Kallas von der Reformpartei warnte auf derselben Plattform vor einem zersplitterten Ergebnis: "Je verworrener und gespaltener das Ergebnis ist, desto verworrener wird die Regierung sein, desto schwächer wird die regierende Koalition sein."
Geprägt wird die Wahl vom Streit um die Militärhilfen für die Ukraine im Krieg gegen die russischen Invasionstruppen. Kallas ist eine entschiedene Befürworterin der Waffenlieferungen, während sich Ekre gegen deren Fortsetzung ausgesprochen hat. Estlands Militärhilfe für die Ukraine entspricht derzeit mehr als einem Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Das ist mehr als bei jedem anderen Land gemessen an der Größe der Volkswirtschaft.
Estland und die anderen beiden Baltenstaaten Litauen und Lettland wurden 2004 sowohl Mitglied der Europäischen Union, als auch der Nato. "Es ist offensichtlich, dass das, was in der Ukraine passiert, auch sehr wichtig für Estland ist", sagte der 35-jährige Ingenieur Juhan Ressar der Nachrichtenagentur AFP in einem Wahllokal in der estnischen Hauptstadt Tallinn. Vielleicht hätten die Menschen "die Wichtigkeit von Unabhängigkeit vergessen", fuhr er fort.
Ein weiteres wichtiges Thema bei den Wahlen in dem baltischen Staat ist der dramatische Anstieg der Lebenshaltungskosten. Die Inflationsrate betrug im Januar 18,6 Prozent.
Für den Rentner Pjotr Mahhonin vertritt einzig und allein die Partei Ekre "das estnische Volk". Der 62-Jährige wirft der Ministerpräsidentin vor, sich "mehr für ein anderes Land" zu interessieren - gemeint ist die Ukraine. Wie viele Esten hat Mahhonin Angst vor einer Ausweitung des Krieges. "Wir haben einen großen Nachbarn, Russland, und es ist sehr gefährlich. Wenn der Krieg beginnt, sind wir das Land an der Frontlinie", sagt er.
Den Umfragen zufolge dürfte die traditionell bei der russischsprachigen Minderheit beliebte Zentrumspartei bei der Wahl auf dem dritten Platz landen. Die Partei hat die Regierungslinie zur Ukraine und Russland unterstützt, was einige russischsprachige Wähler abschreckte. So könnte es bei Angehörigen der Minderheit zu einer hohen Anzahl von Nichtwählern kommen. Insgesamt macht die russischsprachige Minderheit in Estland etwa ein Viertel der Bevölkerung aus.
Nach Angaben der Wahlkommission haben gut 47 Prozent der Wähler ihre Stimme bereits per Briefwahl oder online abgegeben. Die Wahllokale schließen um 20.00 Uhr (Ortszeit, 19.00 Uhr MEZ). Das amtliche Endergebnis wird für Montagmorgen erwartet.
(K.Müller--BBZ)